Philosophischer Kommentar zu CDU-Avancen an Die Linke
Selbst-Demontage der Volksparteien
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CDU-Links-Koalition: Ausweg oder Abgrund? (imago stock&people)
Der Vorschlag eines CDU-Ministerpräsidenten, seine Partei solle sich im Osten offen für Koalitionen mit der Linkspartei zeigen, stößt bei der CDU-Spitze auf heftige Kritik. Zu Recht, kommentiert die Sozialwissenschaftlerin Ulrike Ackermann.
Es ist offensichtlich kein Scherz, der angesichts der Krise der Volksparteien gerade kursiert: nämlich aufgrund ihrer dramatischen Wahlverluste bisher undenkbare Koalitionen in Erwägung zu ziehen, um dennoch ihre Macht zu sichern oder sie zu erlangen. Die Sozialdemokratie hatte bereits früher mit der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ koaliert. Aber dass die CDU inzwischen offensichtlich so weitgehend sozialdemokratisiert ist und mit dieser neuen Option ihr einst antitotalitäres Selbstverständnis über Bord wirft, ist kaum zu fassen.
Die Parteien erwägen abwegige Koalitionen aus Mangel an Alternativen – aber warum sind sie in dieser ausweglosen Situation? Weil sie selbst zuvor jahrelang Alternativlosigkeit gepredigt haben, sowie ihre Kernüberzeugungen im Kampf um die Mitte aufgegeben haben.
Ideenstreit vor Stimmenfang
Die Profile der Parteien sind weltanschaulich immer indifferenter geworden. Kann man dann mit Verweis auf pragmatische Notwendigkeiten zwecks Regierungsbildung mit der Linkspartei ebenso koalieren wie irgendwann mit der AfD? Mit dem Abschied von Kernüberzeugungen, mit Orientierungslosigkeit und mangelnden Zukunftsprojekten etwa zur Lösung des Pflegenotstands oder der notorischen Bildungsmisere ist die Destabilisierung längst im Gange. Wenn alle um die Mitte buhlen und sich dort versammeln, gibt es keinen Wettbewerb der Ideen mehr. Wenn zudem Volksparteien relevante gesellschaftliche Konflikte z. B. über den Umgang mit Parallelgesellschaften ignorieren oder tabuisieren, brauchen sie sich über ihren Bedeutungsverlust und die Radikalisierung der politischen Ränder nicht zu wundern.
Die Sozialwissenschaftlerin Ulrike Ackermann im Studio von Deutschlandradio Kultur. (Deutschlandradio – Andreas Buron)
Kritik am Regierungshandeln und an ihren Parteien lässt die Große Koalition notorisch mit dem Verweis, dies sei populistisch, an sich abperlen. Diese Strategie der Selbstimmunisierung gießt aber gerade Wasser auf die Mühlen jener politischen Strömungen, die mit moralischem Alleinvertretungsanspruch die unmittelbare Volksherrschaft anstreben und vorgeblich das „wahre“ Volk vertreten wollen. Wenn die Noch-Volksparteien die Alternativlosigkeit politischer Wege predigen und nicht den Mut haben, eigene Fehler und Irrtümer einzugestehen, schüren sie nicht nur Politikverachtung, sondern untergraben das Vertrauen in die repräsentative Demokratie selbst.
Politische Alternativen statt Alternativen zum Politischen
Obwohl gerade das Repräsentationsprinzip so erfolgreich war auf dem Weg zu Freiheit und Wohlstand. Nicht die politischen Inhalte und Wege sind alternativlos – darüber muss man lauthals und kontrovers streiten – wohl aber die bewährten demokratischen Procedere und Institutionen. „Alle wahre Republik aber ist und kann nichts anderes sein, als ein repräsentatives System des Volkes, um im Namen desselben, durch alle Staatbürger vereinigt, vermittels ihrer Abgeordneten ihre Rechte zu besorgen“, so Immanuel Kant 1785. Um gutes Regieren zu gewährleisten, sollen dies die klügsten und fähigsten Personen sein, forderte John Stuart Mill in seinen Betrachtungen über die Repräsentative Demokratie 1861. „Das Volk sollte der Herr sein, aber ein Herr, der Diener einsetzt, die geschickter sind als er selbst.“
Inzwischen setzt das Volk auch Damen ein – hat aber das Vertrauen ins politische Personal der Volksparteien gründlich verloren. Wenn sie nicht ihre Programme schärfen, ihr Personal erneuern, Kluge und nicht nur Ja-Sager aufsteigen lassen und mutig Reformen angehen, haben wir bald italienische Verhältnisse. Und Links- wie Rechtspopulisten triumphieren in obskuren Koalitionen, weil sich die Volksparteien selbst abgeschafft haben.