Interview mit Ulrike Ackermann,
Online Focus – Perspektiven, den 12.05.2020
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Im Rahmen sogenannter „Hygiene-Demos“ gingen Tausende Menschen in deutschen Städten am Wochenende gegen die Corona-Politik von Bund und Ländern auf die Straße. Die einen stellen sich gegen eine vermeintliche „Impfpflicht“, andere vermuten hinter den strengen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus eine politische Verschwörung. Die Ressentiments in der Bevölkerung wachsen.
Ulrike Ackermann ist Politikwissenschaftlerin, Soziologin und Gründerin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung. Im Gespräch mit FOCUS Online spricht sie über die Zusammenhänge der „Hygiene-Demos“ mit Pegida und den Gelbwesten-Protesten in Frankreich und wie die Protestierenden durch ihre Demonstrationen andere gefährden – aber auch über Wege, solche Eskalationen zukünftig einzudämmen und warum wir die Zukunftsängste einiger ernst nehmen sollten.
FOCUS Online: Bei den sogenannten „Hygiene-Demos“ versammelt sich derzeit eine breite Allianz: Rechte Reichsbürger verbreiten ihre kruden Geschichtstheorien, linke Verschwörungstheoretiker vermuten die staatliche Totalüberwachung, Impfgegner warnen vor Mikro-Chips, die uns Bill Gates vermeintlich implantieren will, aber auch Unpolitische und Gemäßigte sind darunter – was ist den Demonstranten aus Ihrer Sicht gemein? Wie kommt es dazu, dass diese unterschiedlichen Gruppierungen gemeinsam demonstrieren?
Ackermann: Ein Motiv, das alle eint, ist mit Sicherheit Angst. Andere Motive mischen sich dazu – die klassische Globalisierungskritik, die Kapitalismuskritik, die Rechte und Linke schon viel länger eint. Dass sich linke autonome Gruppen durchaus mit ihren Parolen mit Pegida-Anhängern und AfD-Parolen überschneiden, das hatten wir in früheren gesellschaftlichen Debatten auch schon.
„Angst, dass der Staat übergriffig wird“
FOCUS Online: Um welche Angst geht es konkret?
Ackermann: Die Angst vor der Zukunft. Ein Punkt ist ganz klar: Wir haben noch nie solche Einschränkungen unserer Freiheitsrechte – wie Bewegungs- oder Versammlungsfreiheit – erlebt. Das widerspricht natürlich unserem Grundverständnis einer liberalen Demokratie. Dass einige Angst haben, dass der Staat übergriffig wird und Verordnungen durchsetzt, die längere Zeit gelten könnten, darüber müssen wir debattieren.
Aber wir sind in einer außergewöhnlichen Situation. Ich halte diese Einschränkungen für vertretbar. Allerdings müssen sie begründet werden – immer wieder neu, auch auf ihre Wirksamkeit hin. Es muss eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen stattfinden. Das ist die Grundlage.
Dennoch: Eigentlich gehört die Versammlungsfreiheit ja zu den Rechten, die momentan eingeschränkt werden. Nur unter Auflagen werden Demonstrationen zugelassen. Aber das, was wir in den letzten Tagen beobachtet haben, sind zum Teil unangemeldete Demonstrationen – verbunden mit Angriffen auf Polizisten und Pressevertreter. Das geht überhaupt nicht.
FOCUS Online: Also sind die Demonstranten keine Verteidiger der Demokratie?
Ackermann: Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Wer sich die Parolen genau anschaut und auch die Art und Weise ihres Auftretens, erkennt, dass das keine Verteidiger der Demokratie sind. Wer sich aus Protest massenhaft zusammenklumpt, keine Maske trägt und dadurch riskiert, dass sich das Virus überträgt, der schadet anderen.
Und zu unseren Freiheitsrechten gehört, dass man andere nicht schädigt. Allein mit diesem Auftreten schaden die Demonstranten anderen – noch bevor irgendwer einen Polizisten oder Pressevertreter angegriffen hat. Das sind Straftaten, die geahndet werden müssen. Das sind für mich dann Wutbürger im schlimmsten Sinne des Wortes.
Es braucht eine breite gesellschaftliche Debatte
FOCUS Online: Das heißt, einen Teil der Ängste und Sorgen und vor allem Verschwörungstheorien und das daraus resultierende Verhalten gilt es zu verurteilen – aber es gibt auch Aspekte, die ernst genommen werden sollten.
Ackermann: Ganz genau. Um der Tatsache zu begegnen, dass es auch zu solchen Polarisierungen und Ausfällen kommt, muss eine breite gesellschaftliche Debatte stattfinden. Das Krisenmanagement der Regierung darf und soll auch kritisiert werden.
FOCUS Online: Viele andere Länder blicken neidisch nach Deutschland, weil hier die Eindämmung des Virus bislang besser funktionierte als anderswo – gleichzeitig demonstrieren Tausende dagegen, dass sie sich in ihrer Freiheit beschränkt fühlen. Wie passt das zusammen? Woher rührt dann dieser Zorn einiger?
Ackermann: Es sind einerseits unsägliche Verschwörungstheorien und Antisemitismus, der böse Kapitalismus und so weiter worauf das beruht. Auch das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft und gegenüber Fakten sind eine Ursache dieses Zorns. Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass durchaus Fehler gemacht worden sind. Am Anfang wurde die Pandemie beispielsweise auch von unserem Gesundheitsminister Jens Spahn kleingeredet und verharmlost. Wir haben noch immer nicht genügend Masken und noch keine breiten Tests – womit wir endlich harte, empirische Zahlen hätten, um Voraussagen machen zu können. Und das kann man absolut berechtigt kritisieren.
Außerdem gibt es Widersprüchlichkeiten – warum sind Kitas und Schulen zum Teil noch immer geschlossen, aber Restaurants dürfen öffnen? Die Leute werden ungeduldiger. Es kommt natürlich immer darauf an, wo man lebt und in welchen Feldern der Gesellschaft man sich bewegt. Habe ich eine schöne große Wohnung mit Balkon oder lebe ich in beengten Verhältnissen und habe schreiende Kinder zuhause? Da liegen die Nerven natürlich blank. Und dass wir diesen Ausnahmezustand nicht über viele Monate genauso hart aufrechterhalten können wie bisher, das ist klar.
Politik und Mediziner begehen Fehler – müssen mit dieser Ungewissheit müssen leben
FOCUS Online: Aus Ihrer Sicht ist es also der natürliche Gang der Dinge, dass es jetzt zu Protesten kommt?
Ackermann: Ganz genau. Wir dürfen nicht vergessen, dass die jüngere Generation einen derartigen Ausnahmezustand und eine völlig Aufhebung vieler Freiheiten noch nie erlebt hat. Das berührt unser Privatleben, das berührt unser Berufsleben, das berührt den gesamten öffentlichen Raum. Und Ewigkeiten in dieser Isolation zu leben, das geht nicht.
Insofern muss sich die Politik überlegen, wie langsam, aber verantwortungsvoll gelockert wird. Und dafür muss von Regierungsseite mehr geschehen und kommuniziert werden. Breite Tests und Masken für alle sind beispielsweise ganz wichtige Elemente, um zu zeigen, dass damit Lockerungen möglich sind. Auf diese Weise kann die Politik Dampf aus dem Kessel nehmen, um es salopp zu formulieren.
Und: Wir müssen dringend mehr darüber reden, sind diese Maßnahmen verhältnismäßig oder nicht? Darüber muss breit debattiert werden. Ich finde die Debatte darüber, ob man Risikogruppen und alte Menschen „wegsperrt“ unsäglich. Aber trotzdem muss es erlaubt sein, über den Schutz und die Isolierung bestimmter Risikogruppen debattieren zu dürfen. Denn niemand weiß, was der ideale Weg ist – weder Virologen, noch Politiker – niemand war bislang jemals mit einer solchen Situation konfrontiert. Deshalb werden Politik und auch Mediziner Fehler begehen. Mit dieser Ungewissheit müssen wir leben.
„Politik darf Bevölkerung nicht wie Kinder behandeln“
FOCUS Online: Sozialpsychologen warnen, dass viele die Corona-Krise als enormen Kontrollverlust empfinden, sich machtlos fühlen. Wie können wir darauf reagieren?
Ackermann: Auch das hängt vor allem mit einer Zukunftsangst zusammen. Die wirtschaftlichen Folgen stehen uns noch bevor und das löst Angst aus. In Zuge dessen werden dann wieder die unsinnigsten Erklärungsmodelle laut – es ist der böse Kapitalismus, es ist die böse Globalisierung usw. Aber diese Ungewissheit wird uns keine Regierung nehmen können.
Dennoch dürfen wir schon erwarten, dass die Politik aus Berlin transparent ist und dass auch durchaus Fehler eingestanden werden – was kein Zeichen von Schwäche ist – aus Fehlern lernen wir. Das ist ein erwachsener Umgang mit der Bevölkerung. Die Politik darf die Bevölkerung keineswegs in paternalistischer Manier wie Kinder behandeln. Das macht die Menschen zurecht wütend.
Gesellschaftliche Spaltungen sind nicht plötzlich verschwunden
FOCUS Online: Die Ressentiments in der Bevölkerung wachsen, vor allem wittern hier auch Rechtspopulisten ihre Chance – wie gilt es hier gegenzusteuern?
Ackermann: Viele dachten, wenn wir eine solche Krise erleben, sind die alten Polarisierungen weg und die Republik steht einheitlich zusammen, das Mitgefühl wächst und der Konsens wird gefunden. Aber die Konflikte, die wir schon vorher hatten, sind nur still gestellt, sind eingefroren. Gesellschaftliche Spaltungen, die bereits vor der Corona-Krise hatten, werden nicht plötzlich verschwinden.
Genauso wenig wie das Misstrauen gegenüber den Volksparteien verschwinden wird. Die Volksparteien haben sich nicht plötzlich im Zuge der Corona-Krise verwandelt. Auch wenn Angela Merkel wieder beliebter und die CDU im Ansehen gestiegen ist. Das bedeutet, wir haben dieselbe Gemenge-Lage wie zuvor. Auch damals gab es die Polarisierungstendenzen, rechts und links haben sich aufgeschaukelt, es gab Querfronten und Schnittmengen.
Umso wichtiger ist eine Lehre aus diesen Krisen – auch aus der Flüchtlingskrise: Wir müssen eine breite Diskussion in der Mitte der Gesellschaft führen, wo ganz pluralistisch gestritten wird, damit die Ränder rechts und links nicht wieder erstarken. In der Diskussion müssen unterschiedliche Positionen ihren Ort haben – ohne dass einzelne Positionen, die einem nicht so gefallen, gleich weggesperrt werden und deligitmiert werden, indem moralisch darüber geurteilt wird. Denn die Konflikte, die wir hatten, könnten sogar in verschärfter Form wieder zutage treten.
Kluft zwischen Bevölkerung und Politik wächst seit Jahren
FOCUS Online: Wie können wir jetzt schon darauf reagieren?
Ackermann: Das Wichtigste ist, sich bewusst zu machen, welche Spaltungen es vor der Corona-Krise gegeben hat. Zum Beispiel zwischen Stadt und Land. Und sich auch wirklich an die eigene Nase greifen, die Kritik an den Eliten kam nicht nur von Rechts- oder Linkspopulisten, sondern basiert auf einem Misstrauen, das die Kluft zwischen der Bevölkerung und der politischen Klasse in den letzten Jahren immer größer werden ließ.
Es reicht nicht, jetzt im Rahmen der Corona-Krise die Schleusen zu öffnen und nur Geld in alle Richtungen zu geben. Stattdessen muss die Politik gut überlegen, an welchen Stellen Reformen dringend notwendig sind – besonders in Sachen Bürokratieabbau und Digitalisierung.
Transparente Kommunikation ist das Wichtigste
FOCUS Online: Bieten dann gerade die Demonstrationen auch eine Chance für die Politik, künftig anders auf diverse oder gar extreme Positionen einzugehen?
Ackermann: Wichtig ist, sachlich damit umzugehen und nicht mit Denkverboten zu reagieren. Auch die Pegida-Demonstrationen sind am Anfang unterschätzt worden. Da mischte sich einiges – Unmut, aber auch rechte und radikale Positionen innerhalb der AfD. Aber es wurde am Anfang unterschätzt, dass auch ein großer Teil der Bevölkerung nicht mit der Berliner Politik einverstanden war.
Eine ähnliche Situation gab es mit den Gelbwesten in Frankreich. Auch da haben sich Linke und Rechte durchaus zusammengetan. Auch weil in Paris nicht gesehen wurde, wie der Unmut in der Bevölkerung gärt. Und dieser Unmut machte sich dann Luft in lautstarken, radikalisierten Zusammenkünften.
Umso wichtiger ist es, jetzt ernst zu nehmen, dass der Unmut stärker wächst. Ja, es sind radikale Ränder, die jetzt lautstark sind. Aber es gibt eine berechtige Sorge in der ganzen Bevölkerung, was die Einschränkungen der Freiheitsrechte betrifft. Deshalb muss die Politik immer wieder neu begründen, warum sie die Einschränkungen so aufrechterhalten will, wie sie es tut. Wie gesagt, dafür ist eine transparente Kommunikation wichtig. Und es ist schlecht, wie beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel über „Öffnungsdebattenorgien“ zu sprechen. Denn das ist, als würde sie sagen, dieser Weg sei alternativlos. Das geht völlig nach hinten los.
FOCUS Online: Welche Wirkungen werden die aktuellen Demonstrationen auf das politische Geschehen haben?
Ackermann: Ich merke, dass sich die Angst und Schockstarre in der politischen Diskussion allmählich löst. Wir sind auf alle neuen Ideen angewiesen, weil alle nicht eine einzige Wahrheit kennen können oder es die eine einzige Lösung geben kann. Das sehen wir schon daran, wie unterschiedlich die Länder mit der Krise umgehen. Die politische Debatte wird wieder diverser, und das ist wichtig.
Buch-Tipp: In ihrem Buch „Das Schweigen der Mitte: Wege aus der Polarisierungsfalle“ plädiert Ulrike Ackermann für eine Rückbesinnung auf antitotalitäre und liberale Traditionen. Um unsere Demokratie aus der Krise herauszuführen, müssten wir die politische Mitte neu besetzen und stärken, argumentiert die Wissenschaftlerin.