Debatte um Identitätspolitik: „Ins Totalitäre gekippt“
Debatte um Identitätspolitik: „Ins Totalitäre gekippt“
04.03.2021 – deutschlandfunkkultur.de
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Der Umgang mit Urgestein Wolfgang Thierse in der SPD steht exemplarisch für die Probleme der identitätspolitischen Debatte. Die Politologin Ulrike Ackermann beleuchtet einen Diskurs, in dem die Moral das Argument schlägt.
Die Debatte um Identitätspolitik scheint inzwischen vergiftet. Mit abweichenden Meinungen wird – besonders in den sozialen Medien – rüde verfahren. Jüngstes Beispiel: der Umgang mit Wolfgang Thierse, der sich zur Identitätspolitik geäußert hatte und sich nun aufgrund der Reaktionen fragt, ob er noch in der SPD willkommen ist.
Die Politologin und Soziologin Ulrike Ackermann geht mit der Identitätspolitik hart ins Gericht und verweist auf die linke wie auch die rechte Variante. Bei den großen Debatten der letzten Jahre – Migration, Schuldenkrise, Nation – seien die schärfsten Stimmen jeweils von links und rechts außen gekommen, sagt sie.
Besonders fatal sei dabei die Moralisierung der Diskurse, betont Ackermann. „Das hat auch Wolfgang Thierse zum Thema gemacht und prompt hat seine Chefin Esken moralisierend reagiert, in dem sie sagte, man müsse sich für ihn schämen“, kritisiert sie.
In identitätspolitischen Debatten kommt es der Soziologin zufolge viel zu wenig zum Austausch von Argumenten:
„Es wird nicht eine Auseinandersetzung geführt mit dem Argument, dass man einer bestimmten Position mit einer anderen Position begegnet, sondern – und das ist das Fatale der Identitätspolitik – dass vornehmlich aus der Herkunft heraus argumentiert wird. Das heißt, aus einem Opferstatus heraus, der dann die verletzten Gefühle zum Thema macht und nicht mehr die Argumente.“
Die Anliegen der Minderheiten sind vollkommen berechtigt.
Dabei seien die Anliegen von sich teils laut äußernden Minderheiten vom Ursprung her völlig berechtigt gewesen, sagt Ackermann. Wer Benachteiligungen erlebt habe, habe natürlich auch das Recht, diese zu benennen: „Aber es ist umgekippt.“
Seit nunmehr 20 Jahren könne man das – vor allem aus den USA kommend – beoachten. Aus den berechtigten Anliegen sei „etwas Totalitäres“ geworden, „nämlich sich absolut setzen zu wollen, der Mehrheitsgesellschaft Täterschaft vorzuwerfen, sich selber als Opfer zu stilisieren und damit die Gesellschaft Zug um Zug immer mehr zu spalten“.
Esken hat inzwischen das Gespräch mit Wolfgang Thierse gesucht. Sie will einen Brief, den sie gemeinsam mit Kevin Kühnert an die SPD-Arbeitsgemeinschaft Queer geschrieben hatte, nun anders verstanden wissen, als er unter anderem von Thierse interpretiert worden war.