Veranstaltungen/
Pressestimmen
 




Pressestimmen
:
Neue Züricher Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung




Konferenz:
Freiheit in die Offensive. 50 Jahre Kongress für kulturelle Freiheit

Neue Zürcher Zeitung, 28.06.2000, S. 62
Feuilleton

Wehrhafte Demokratie und totalitäre Versuchung /Eine Tagung in Berlin
von CHRISTOPH JAHR

In diesen Tagen jährt sich ein Ereignis, das in den heissen Tagen des Kalten Krieges viel Aufmerksamkeit fand, heute jedoch weitgehend vergessen ist: Vor fünfzig Jahren tagte in Berlin der "Kongress für kulturelle Freiheit" (vgl. ausführlich NZZ v. 17."6."00). Unter der Leitung von Ulrike Ackermann fand aus diesem Anlass vor kurzem an der Freien Universität Berlin eine Tagung statt, deren forscher Titel "Freiheit in die Offensive" durchaus dem Zeitgeist von 1950 entsprach. Für ruhige, abgeklärte Diskussionen war die Zeit ein Jahr nach dem Ende der Berlin-Blockade und zu Beginn des Koreakriegs denkbar ungeeignet. Damals schien der Westen, schienen Freiheit und Demokratie in der Defensive zu sein. Arthur Koestler sprach gar von einer "geistigen Luftbrücke" für Europa, welche die materielle von 1948/49 ablösen sollte. Der machtpolitische Kampf von damals ist entschieden, die intellektuelle Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Totalitarismus dauert jedoch immer noch an.

Die Zeitzeugen liessen in ihren Schilderungen den enormen moralischen Impetus des Jahres 1950 wiederaufleben, mit dem insbesondere die ehemaligen, durch die Erfahrungen des Stalinismus geläuterten Kommunisten wie François Bondy oder der 1938 aus Ungarn emigrierte François Fejtö auf dem Kongress auftraten. Anders als in Italien oder Frankreich, wo die Kommunisten zu dieser Zeit das kulturelle Klima prägten und auch einen politischen Machtfaktor ersten Ranges darstellten, war der gleichermassen gegen Faschismus und Kommunismus gerichtete Antitotalitarismus im bedrohten Westberlin selbstverständlich. Auf die Vorbildfunktion der "Renegaten" verwies auch Klaus Harpprecht, der, wie er sich ausdrückte, erst von Richard Löwenthal lernen musste, dass man Demokrat und Sozialist zugleich sein könnte.

Der Kongress und die in seinem Umfeld herausgegebenen Publikationen - die Zeitschriften "Der Monat" und "Preuves" vor allem - trugen massgeblich zur intellektuellen Verwestlichung Deutschlands bei und wirkten auch in die Ostblockstaaten hinein, wovon Wojciech Karpinski für Polen zu berichten wusste. Barbara Spinelli (Paris) brachte ein wichtiges Stichwort in die Debatte ein, als sie darauf verwies, dass die Erinnerung an den "Kongress für kulturelle Freiheit" angesichts der heutigen neototalitären Tendenzen beispielsweise in Russland oder Serbien kein Selbstzweck sein dürfe. Die von diesen Regimen verübten Verbrechen erfordern auch heute das Engagement der Intellektuellen.

In weiteren Diskussionsrunden, in der die Auswirkungen des Kongresses auf Deutschland und Frankreich sowie die Bedeutung der USA für Europa erörtert wurden, ging es vor allem um die "totalitäre Versuchung", der Teile der Studentenbewegung von 1968 erlagen. Gewiss muss man Tilman Spenglers Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung der 68er Bewegung recht geben und sich vor Augen halten, dass diese sich von einem Antikommunismus distanzierte, der durch manche "braune Wurzel" einerseits und den Vietnamkrieg der USA andererseits viel von seiner Überzeugungskraft eingebüsst hatte. Trotzdem bleibt die von Michael Rohrwasser beschriebene Tatsache schwer erklärbar, dass der antitotalitäre Grundkonsens der fünfziger Jahre einem Berührungsverbot wich: Wer auch nur noch das Wort "Totalitarismus" in den Mund nahm, sah sich dem Faschismusverdacht ausgesetzt. Während in Frankreich die Veröffentlichung der Werke Solschenizyns einen "Schock" (Dick Howard, New York) auslöste, führte die Entwicklung in Deutschland in ihrer radikalsten Ausprägung zum Linksterrorismus der siebziger Jahre. Von der Mitverantwortung für diesen Irrweg können sich, so selbstkritisch Daniel Cohn-Bendit, die Intellektuellen nicht freisprechen.

Die beunruhigende Frage, zu welchen Untaten Menschen fähig sind, bleibt auch in den demokratischen Ländern auf der Tagesordnung. Die im Zusammenhang mit dem US-Präsidentschaftswahlkampf abermals akut werdende Debatte um die Todesstrafe in den USA ist ein Beispiel dafür, dass das Verhältnis Europas zu Nordamerika bis heute nicht frei von gegenseitigen Missverständnissen und Irritationen ist. Ein undifferenzierter Antiamerikanismus-Begriff, darauf verwies Antonia Grunenberg (Oldenburg), ist jedoch nicht mehr zeitgemäss, um die europäisch- amerikanischen Differenzen zu beschreiben. Nach 1989 müssen sich nicht nur die innereuropäischen, sondern auch die transatlantischen Beziehungen der veränderten Lage anpassen - ein Prozess, der durch den Gebrauch von Schlagworten vergangener Zeiten nicht gefördert wird.

Die Schlussdiskussion versuchte daher folgerichtig, den Umbruch in Osteuropa 1989/90 und seine Bedeutung für die gesamteuropäische Zukunftsperspektive zu erhellen. Die Ostpolitik der sechziger Jahre wurde dabei sowohl von Joachim Gauck (Berlin), als auch von Jacques Rupnik (Paris) mit Skepsis bewertet, da sie zwar zunächst innovativ war, später jedoch erstarrte und zu sehr ihrer gouvernementalen Orientierung verhaftet blieb. Folglich nahm sie das Erstarken der Bürgerbewegungen in Osteuropa seit 1980/81 primär als Störfaktor der Ost-West-Beziehungen wahr. Vor einer undifferenzierten Gegenüberstellung von Realpolitik und Moralpolitik warnten allerdings sowohl die rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller als auch der Politikwissenschafter Pierre Hassner (Paris). Dass interessen- und wertegeleitete Politik zusammenfinden müssen, um eine stabile demokratische Zukunft Europas zu ermöglichen, wird an Fragen wie der EU-Osterweiterung oder der Intervention auf dem Balkan deutlich. Zu klären, für welche Werte Europa stehen soll, wer dazugehört und wer nicht, dazu bedarf es heute nicht weniger als vor fünfzig Jahren der Einmischung der Intellektuellen.

   
   
   
   

Home 
Biografie Publikationen Links Kontakt