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Frankfurter Allgemeine Zeitung
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Konferenz:
Freiheit in die Offensive. 50 Jahre Kongress für kulturelle Freiheit
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.06.2000
Der Westen will den Osten gar nicht mehr
Herkulisch: Was beim Erinnern alles passieren kann
von WOLFGANG TEMPLIN
Daniel Cohn-Bendit hielt es nicht mehr auf seinem Platz im Publikum.
Was der französische Studentenführer von 1968 auf dem Podium über
die Selbstheilungskräfte der amerikanischen Gesellschaft in der
Konfrontation mit dem Vietnamkrieg hörte, provozierte seine Reaktion:
"Wer hat den Vietnamkrieg beendet - allein die Aktionen der amerikanischen
Studenten oder nicht auch die Proteste in Europa?", rief er nach
vorn. Kein ungewöhnlicher Auftritt in einem spannenden zweitägigen
Marathon durch die Vergangenheit der europäischen Teilungsgeschichte
und die ungewisse Gegenwart nach 1989. Dazu traf sich eine Gesellschaft
besonderer Art am Freitag und Sonnabend im Henry Ford- Bau der
Freien Universität.
Die Politologin und Publizistin Ulrike Ackermann hatte es in einer
herkulischen Anstrengung fertig gebracht, punktgenau zum fünfzigsten
Jahrestag der Gründungsveranstaltung des "Kongresses für kulturelle
Freiheit" Gründungsmitglieder und Veteranen der ersten Stunde,
Unterstützer aus verschiedenen Generationen, Osteuropäer, Westeuropäer
und Amerikaner zusammenzubringen.
Mit dem Motto "Freiheit in die Offensive" wurde der Kongress intellektuell
wie politisch zur bedeutendsten und folgenreichsten Kampfansage
gegenüber totalitärer Bedrohung und Verführung in der Zeit des
Kalten Krieges. Von kommunistischer Seite gehasst und gefürchtet
und als CIA-gesteuert denunziert, gelang es den Gründern und Unterstützern,
ein wirksames internationales Netz aus Zeitungen, Komitees und
Solidaritätsinitiativen zu knüpfen, dass über mehrere Jahrzehnte
hinweg vor allem der Opposition in Osteuropa zu Gute kam. Viele
westliche Intellektuelle regte der Kongress an, ihre Verantwortung
für Demokratie und Menschenrechte wahrzunehmen.
Melvin Lasky, unverwüstlich.
Das Erinnerungstreffen in Berlin lebte von Kontrasten und Spannungen
vielfacher Art. Kontraste und Spannungen, die schon mit dem Aufeinandertreffen
mehrerer Generationen begannen. Der unverwüstliche Melvin Lasky,
neben Artur Koestler einer der Hauptakteure des damaligen Kongresses,
der Publizist François Bondy und der über neunzigjährige Historiker
Francois Fejtö saßen als Veteranen auf dem Podium und verglichen
sich ironisch mit lebenden Fossilien. Sie konnten die noch leuchtenderen
Namen ihrer Weggefährten im Kongress, die Namen von Raymond Aron,
von Hannah Arendt und Karl Jaspers, Ignazio Silone, Manès Sperber
und Czeslaw Milosz, in faszinierenden Erinnerungen und Erzählungen
präsentieren. Auch Antonin Liehm oder Pierre Hassner waren gekommen.
Wer wie sie als politische Emigranten später zum Kongress oder
eine seiner Folgeorganisationen stieß, brachte auf den Podien
dieses Wochenendes die zum Teil deprimierenden Erfahrungen der
sechziger und siebziger Jahre und die Auseinandersetzung mit den
ambivalenten Folgen der Entspannungspolitik ein.
Und dann die dritte Alters- und Erfahrungsgeneration, die zumeist
im Publikum saß und viel stärker durch die Ereignisse von 1968
als von den Ideen von 1950 geprägt war. So konnte sich ein viele
älterer Teilnehmer die Heiterkeit im Publikum kaum erklären, als
in der Diskussion die mangelnde Attraktivität antitotalitärer
Ideen beklagt und darauf verwiesen wurde, welche neolinken Losungen
später das Klima an der Freien Universität beherrschten. Dort
im Publikum saßen mit Klaus Hartung, Wolfgang Kraushaar, Thomas
Schmid, Joscha Schmierer und vielen anderen lauter Leute, die
sich nicht nur - längst geläutert - ihrer linken Berliner oder
Frankfurter Jugendsünden mit Freuden erinnerten. Sie hatten -
im Unterschied zu den älteren Uneingeweihten - in dem Kritiker
auch einen der Ihren erkannt. Was sie als Westlinke der Folgegeneration,
in anderer Weise und doch ähnlich wie ihre altersgleichen östlichen
Sozialismusanhänger, zu den Erfahrungen und Werten der Kongress-Veteranen
finden ließ, war der Stoff für die nächsten Erzählungen.
Schnell und scharf.
Eines wurde unmissverständlich deutlich: Der Kongress für kulturelle
Freiheit war in keiner Phase seiner Existenz, weder in der Hoch-Zeit
des Kalten Krieges noch beim Übergang zur Entspannungspolitik,
ein antikommunistisches Kampfinstrument. Er richtete sich gegen
linke und rechte Totalitarismen, setzte sich mit der Franco-Diktatur,
dem Erbe der Kolonialzeit und den Denunziationsexzessen der McCarthy-Ära
genauso auseinander wie mit dem GULag und den sowjetischen Panzern
in Budapest und Prag. Vor allem stellte er sich der Frage nach
den Gefährdungen für die Demokratie im Inneren der liberalen Gesellschaften.
Was die Gründer und späteren Anhänger des Kongresses vereinte,
war eine im geduckten Nachkriegsdeutschland mehr als seltene "kämpferische
Liberalität", wie es ein Podiumsteilnehmer formulierte. Liberal
allerdings eher im amerikanischen Sinne als ein Links von der
Mitte. Wenn in ein solches Unternehmen tatsächlich CIA-Gelder
geflossen sind, so wurden diese nie für einen besseren Zweck verwendet.
Die Brücke nach Osteuropa, die der Kongress schlug, und die transatlantische
Brücke, die durch die Beteiligung amerikanischer Intellektueller
von Beginn an existierte, markierten eine weitere Ebene produktiver
Spannungen auf dieser Tagung. Zwischen osteuropäischen Exilzeitschriften
wie der polnischen "Kultura", direkt vom Kongress inspirierten
Zeitschriftengründungen - wie "Preuve" und "Encounter" - und amerikanischen
Diskussionsforen gab es intensiven Austausch. Es gab auch erbitterte
Auseinandersetzungen über die wirksamste Unterstützung der osteuropäischen
Opposition, über die Natur der realsozialistischen Gesellschaften
und die Verantwortung der westlichen Politik dafür.
Bezogen auf die "Zukunft der Freiheit", wurde die Frage nach dieser
Verantwortung in der Gegenwart zum entscheidenden Punkt der Abschlussdiskussion,
die am Sonnabend im Französischen Dom stattfand. Dieses letzte
Forum einte nicht nur die Repräsentanten Europas, sondern auch
die Generationen. Joachim Gauck blieb als ostdeutsche Stimme zu
Beginn ratlossybillinisch, forderte "intellektuell tiefer zu graben"
und sprach von einem "zwiespältigen Urteil der Geschichte über
die Entspannungspolitik", das er nicht näher erläuterte.
Die anderen - Jacques Rupnik und Pierre Hassner aus Paris genauso
wie Herta Müller, Antonin Liehm oder Marcin Król als Teilnehmer
mit osteuropäischem Hintergrund, wurden schnell deutlicher und
schärfer. Der Herausgeber der polnischen Zeitschrift Res Publica,
Król, warnte vor Oppositionsnostalgie: "Die Solidarnosc war ein
einziges ethisch- moralisches Fest, was nicht ewig dauern konnte.
In der gegenwärtigen Wirtschaftsdominanz in Polen steckt ein Erfolg,
aber ein Erfolg, der mir nicht liegt, denn er ist mit neuen Gefahren
verbunden und hat einen sehr hohen Preis." Król stellte die provozierende
These auf, dass der Beitritt der Osteuropäer zur Europäischen
Union ein vom Westen längst nicht mehr gewolltes Projekt sei,
vertagt auf den Sanktnimmerleinstag. Cohn-Bendit bot aus dem Publikum
heraus Wetten für den schnellen Beitritt an, ohne die Skepsis
ausräumen zu können. Antonin Liehm, tschechischer Gründer und
Herausgeber von "Lettre Internationale", sprach davon, wie stark
und deutlich vor 1989 im Osten der Traum einer Zugehörigkeit zu
Europa war: "Als ich 1990 sagte, dass der Beitritt zur Union mindestens
fünfzehn Jahre dauern wird, hätte man mich fast getötet. Heute
stehe ich mit dieser Annahme als unverbesserlicher Optimist da."
Dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs hätte im Westen ein Gründergeist
entsprechen müssen, dessen Fehlen die Osteuropäer verstört und
verbittert.
Spannende Typen.
Jacques Rupnik brachte es auf den Punkt: "Aus der osteuropäischen
Perspektive ist die Erweiterung der Union wie ein Bermuda-Dreieck,
dass immer weiterrückt, wenn man ihm näher kommt." Joschka Fischers
Gedankenspiele eines "harten Kerns" im europäischen Integrationsprozess
würden im Osten als Gefahr gesehen. Król nannte einen Grund für
die aus seiner Sicht negativen Veränderungen: "Wenn die jetzige
westliche Politikergeneration fünf Jahre früher ans Ruder gekommen
wäre, wären wir mit Sicherheit nicht einmal in der Nato." Herta
Müller hielt dagegen, dass die Wartezeit auch heilsam sei. Beunruhigender
empfinde sie jedoch, dass der Westen nicht begreife, welche Gefahren
in Russland und Weißrussland lauerten und warum die Osteuropäer
Angst vor Putins imperialen Auftrumpfen hätten: "Da stellt sich
Schröder hin und charakterisiert Putin als tollen und spannenden
Typen. Ja, spannend ist er, fragt sich nur, wofür."
Debatten zum Integrationsprojekt Europa und seine Chancen, zur
Gefahr neuer totalitärer Versuchungen - auf dem Abschlusspodium
der Berliner Konferenz wurde der Geist des alten Freiheitskongresses
lebendig. Noch einmal wurden die alten Dialoge und Netze auf ihre
Tauglichkeit für einen neuen Anfang geprüft. Das Fazit des Treffens
machte auch klar, von wem dieser Anfang erneut ausgehen müsste.
Die Politiker haben kein Interesse daran, oder zu wenig, darüber
war man sich einig. Wenn Intellektuelle ihre Stimme jedoch nicht
laut genug erheben, tragen sie selbst daran die Schuld: "Wir müssen
sie mit unserer lebendigen und streitlustigen Debatte unter Druck
setzen und zwingen, uns zuzuhören. Wir müssen das alte Netz neu
knüpfen und die Freiheit noch einmal in die Offensive bringen."
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