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Vom Antifaschismus der Nachkriegszeit bis zum Briefwechsel Furet-Nolte:
Intellektuelle beider Länder taten sich schwer bei der Beurteilung
des Kommunismus.
Vorsicht! Nicht jeder Antifaschist ist ein Anwalt der Menschenrechte
- und nicht jeder Antikommunist ein aufrechter Demokrat. Das ist,
kurz gesagt, eine der praktischen Schlussfolgerungen aus dem Totalitarismusbegriff.
Dieses Konzept, das die Extreme von rechts und links übergreift,
dient der Analyse von scheinbar völlig gegensätzlichen Systemen:
dem italienischen Faschismus, dem deutschen Nationalsozialismus
- und dem Sowjetkommunismus.
Unter den meisten deutschen Intellektuellen ist der Totalitarismusbegriff
seit Ende der sechziger Jahre verpönt, während er unter französischen
Intellektuellen - nach dem von Alexander Solschenizyn ausgelösten
"Gulagschock" - in den siebziger Jahren glänzende Karriere machte.
Dissidenten und Bürgerrechtler jenseits des früheren Eisernen
Vorhangs hatten nie ein Problem damit.
Ulrike Ackermann erzählt, wie seit dem Beginn des Ost-West-Konflikts
die Wege deutscher und französischer Schriftsteller, Historiker
und Philosophen bei der Bewertung des Sowjetkommunismus auseinander
liefen. Die heutige Lage verhält sich fast spiegelverkehrt zum
Meinungsklima in den fünfziger Jahren. Damals war die französische
Intelligenz mehrheitlich "positiv vom Totalitarismus kommunistischer
Prägung fasziniert"; in Deutschland jedoch bestimmte das Klima
"ein antitotalitärer Konsens, der zuweilen stark antikommunistisch
eingefärbt war".
Ackermanns Buch spannt den Bogen vom Berliner "Kongress für kulturelle
Freiheit" im Juni 1950 bis zum Briefwechsel zwischen François
Furet und Ernst Nolte in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre.
Die von Melvin J. Lasky, Arthur Koestler, Ignazio Silone, Manès
Sperber und anderen gegründete Internationale des Antitotalitarismus
entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem subversiven Netzwerk,
das bis zum Fall der Mauer den hoch infektiösen Bazillus unabhängigen
Denkens in Ostmitteleuropa verbreiten half. Bemerkenswert ist
die auf deutscher Seite klaffende personelle Lücke - von löblichen
Ausnahmen wie Heinrich Böll einmal abgesehen.1966 enthüllte die
"New York Times", dass der "Kongress für kulturelle Freiheit"
zu großen Teilen von der CIA finanziert worden war. Damit brach
diese Veranstaltungsreihe - nicht aber das aus ihr hervorgegangene
Netzwerk von Freundschaften und solidarischen Kontakten - zusammen.
Es gab einen großen Sturm der Entrüstung. Doch im Rückblick wird
man die CIA dazu beglückwünschen dürfen, dass sie ihr Geld (ausnahmsweise?)
gut angelegt hatte.
Für Ackermann drückt sich im anhaltenden Widerstand deutscher
Intellektueller gegen den Totalitarismusbegriff nicht nur die
Neigung aus, "die Deutschen nach 1989 als Tätervolk zu rehabilitieren".
Sie führt diese Einstellung vor allem auf das "traditionsreiche
linke Postulat zurück, wonach der Faschismus die höchste Form
des Kapitalismus sei".
Der französische Historiker Furet war so souverän, im Werk seines
deutschen Kollegen Nolte die nationalapologetische Spreu vom antitotalitären
Weizen zu trennen - hierzulande würde zu einem solchen Unterfangen
viel Mut gehören. Allzu leicht lässt sich in der Bundesrepublik
intellektuelle Feigheit immer noch mit Angst vor "Beifall von
der falschen Seite" bemänteln.
Bemerkenswerten Nonkonformismus legte deshalb der von Ackermann
zitierte Nolte-Kritiker Heinrich August an den Tag, als er 1998
Winkler schrieb, der Sinn des argumentativen Verweises auf Auschwitz
liege "offenbar darin, dass die Deutschen auserwählt wurden, das
absolut Böse zu tun, und darum berechtigt, ja verpflichtet sind,
ihren Negativrekord gegenüber unerwünschter Konkurrenz zu behaupten".
Ulrike Ackermanns Buch ist eine der wichtigsten und originellsten
Neuerscheinungen dieses Jahres über die Zeit des Kalten Krieges
- hervorragend dokumentiert und ein überzeugendes Beispiel dafür,
wie dramatisch und spannend Ideengeschichte sein kann. Ausgiebig
lässt Ackermann die Akteure selbst zu Wort kommen. So bleibt den
Lesern in jedem Augenblick bewusst, dass es der Autorin nicht
nur um Höhenflüge in das Reich abstrakter Gedanken geht, sondern
auch und vor allem um Verdienst und Versagen konkreter Menschen.
Ideengeschichte präsentiert sich hier als großes Epos über den
Widerstreit von Blindheit und Klarsicht, Feigheit und Mut. Nicht
zuletzt Mut zur Korrektur eigener Irrtümer. Den finden wir etwa
bei Jorge Semprún, der als spanischer Kommunist KZ-Häftling in
Buchenwald gewesen war. Der Gulag-Schock nahm ihm die "Unschuld
des Gedächtnisses"; es wurde Semprún unmöglich, sich weiterhin
"in dem heiligen Öl des latenten guten Gewissens" zu baden. Er
rang sich zu der Einsicht durch, "dass ich meine Erfahrungen in
Buchenwald, Stunde um Stunde, mit der verzweifelten Gewissheit,
dass es gleichzeitig russische Straflager ... gab, wiederaufleben
lassen müsste".
Ulrike Ackermann gehört zu jenem relativ kleinen Kreis deutscher
Intellektueller, die gegen alle Anfeindungen am Totalitarismusbegriff
festgehalten haben und auch nie der Versuchung erlegen sind, die
Freiheitsbewegungen im sowjetisch dominierten Teil Europas als
destabilisierend, gar als Gefahr für den Frieden zu beargwöhnen.
Wir wissen heute, dass sich die kleinen und großen Metterniche
des Kalten Krieges, die westeuropäischen und nordamerikanischen
Anwälte der scheinbar unumstößlichen "Ordnung von Jalta", gründlich
geirrt haben. Genugtuung darüber ist der Autorin durchaus anzumerken,
aber ein rechthaberischer Triumphalismus ist ihr fremd.
In der Tat: Bis auf den heutigen Tag verkennen viele Politiker
und Publizisten den wahren Charakter blutiger Konflikte, weil
sie Gefangene alter Denkmuster geblieben sind.
Ackermann erläutert das am Beispiel Jugoslawien: Es zählt mittlerweile
zu den als unumstößlich geltenden Wahrheiten, dass sich während
der neunziger Jahre auf dem Balkan ein "uralter Völkerhass" ausgetobt,
dass dort ein "Kampf der Kulturen" oder gar ein "Religionskrieg"
stattgefunden habe. Tatsächlich verantwortlich für das Blutvergießen
waren indes jene (post-)kommunistischen Diktatoren, die den angeblich
"uralten Völkerhass" zur Festigung ihrer eigenen Macht heraufbeschworen
und dann instrumentalisierten. Erst die Etikettierung von Slobadan
Milosevic als "Faschist" verschaffte ehemaligen Pazifisten wie
Joschka Fischer die Legitimation, einer deutschen Teilnahme am
Kosovo-Krieg zuzustimmen.
Die Tabuisierung des Totalitarismusbegriffs erschwert bis heute
auch eine gründliche Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur.
Als Hüterin des "Antifaschismus" immunisierte sich die PDS gegen
Kritik, während sie gleichzeitig ein Instrument zur historisch-moralischen
Diskreditierung politischer Gegner in der Hand behält. Hinter
diesem Schutzschild pflegt sie die antiwestliche Nostalgie nach
dem autoritären Staat, die sie mit der extremen Rechten teilt.
Die auffällige Überschneidung der Wählerpotenziale von PDS einerseits
und Parteien wie DVU oder NPD andererseits deutet darauf hin,
dass die Wege vom sozialistischen zum völkischen Kollektivismus
und wieder zurück wesentlich kürzer sind, als der "Antifaschismus"
uns glauben machen will.
Es ist Zeit für eine Erneuerung des antitotalitären Grundkonsenses
aus den Anfängen der Bundesrepublik. Wer das nicht glauben mag,
dem wird Ulrike Ackermanns Buch zur Einsicht in die Notwendigkeit
verhelfen."
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